Merkwürdige Dinge sind geschähen, von Yves

Merkwürdige Dinge sind geschähen
1. Teil
„Gott verdammt, diese dunstige Straße, dieser staubig verschwommene Nachmittag. Ich atme die Stille ein, wie niemals zuvor. Da ist ein Gefühl, dass mir nur noch diese eine Zigarette bleibt. So liege ich wach, und warte darauf, dass du aus der Morgendämmerung kommst. Oh vielleicht kann ich es mit dir teilen. Ich bemühe mich, so dass ich es kann. Du bist nicht allein, du, einsame Frau; du hast es vergessen, aber ich erinnere mich. Merkwürdige, ja sehr merkwürdige Dinge sind geschähen, ich weiß. Ich bin nicht allein, einsame Frau, ich vergaß, aber nun erinnere ich mich. Merkwürdige Dinge sind geschähen – ich weiß.






Ich träume manchmal von einem Ort, wo rauch die Luft erfüllt, wenn ich wach liege und davon träume wie du in die Morgendämmerung gehst. Ich kann mich nicht ändern, aber wer willst du, dass ich bin. Ich bin derselbe, wie willst du mich haben. Du bist nicht wie , kleine traurige Miss, du vergast, aber ich erinnere mich.
Merkwürdige dinge sind geschähen, ich weiß.“,
fuhr es Dave durch den Kopf, als er dalag – in der Sonne, und die Augen geöffnet hielt. Er erwachte wieder und schaute sich verwundert um. Am Rand einer staubigen Straße fand er sich plötzlich wieder. Die Sonne viel auf ihn nieder, nichts schützte ihn, kein Baum, der hätte Schatten spenden können war weit und breit zu sehen, nur die Trostlosigkeit einer einsamen Steppe, die sich in eine Wüste zu verwandeln schien. Der Boden links und rechts des Weges war, zerrissen und brüchig. Eine kleine Rinne auf der rechten Seite schien von einem kleinen Fluss zu sprechen, der sich hier einst seinen Weg gebahnt hatte. Doch das war jetzt unvorstellbar. Dave spürte wie die Zigarette an seinen trockenen Lippen klebte. Als er versuchte sie zwischen Zeige- und Mittelfinger seiner rechten Hand zu nehmen, geleitete er an ihr entlang und verbrannte sich dabei die Fingerkuppen. Aus Frust schmiss er sie der Wüste entgegen. Langsam stand er auf und klopfte sich dabei den Staub von den Kleidern. Nachdem er sich in voller Länge aufgehieft hatte verharrte er einige Sekunden regungslos. Sein Kopf schmerzte, die Hitze wirkte auf ihn, plötzlich spürte er wie die Sonnenstrahlen in die Haut bissen. Kleine flimmernde Sterne schwirrten am oberen Rand seines Sichtfeldes. Mit tiefen Atemzügen röchelte er, erst heftig, dann immer ruhiger und schmeckte dabei den Staub auf seiner Zunge, der sich mit dem Speichel zu einer schlammigen Masse verbunden hatte. Erst wollte er spucken, doch die eklige Flüssigkeit in seinem Mund war ihm doch zu kostbar. Mit seiner linken Rückhand wischte er sich über die Stirn, die voller Schweiß war. Auf einmal war alles wieder so fern. In seinem Traum war zwar alles verschwommen und schemenhaft, doch es schien ihm wirklicher als das was er um sich erblickte. In der Wüste ist jedes Leben fremd. Nur Trotz und Widerstandskraft können ihr entgegenstehen. Niemand liebt die Wüste, auch wenn er sie sucht oder gar seine Heimat nennt. Der Kopf als unerträgliche Last auf seinen Schultern, benebelt in Trance und dunkler Trunkenheit versuchte Dave einen ersten Schritt zu machen. Geht er nun vor oder zurück? Weiß er es?
Monoton, bedeutungslose, brennende Verzweiflung und ein Rauschen zwischen den Ohren. Alles betäubt durch Alkohol, kein Weg nach vorne, kein Weg zurück. Er sieht sich nicht, nicht mehr, nicht wieder.
Die Erinnerung an eine Flasche Whisky kam wieder, so schmerzhaft, brutal und schonungslos, das die Taubheit der Empfindung weicht.
Fremde, Ferne und Dämmerung fühlte er in sich. All das wirkte auf ihn ein – viel auf ihn nieder und er schaute sich um, doch fand er nichts, dass ihn zu einer Erinnerung hätte verleiten können. Schweiß lief ihm Nacken und Rücken hinunter. Dave fühlte sich losgerissen, fern von jeder erdenklichen Wahrheit. Der Alkohol ließ seine Gedanken schweifend und träge mit seiner Umgebung verschmelzen. Von keinem Gedanken den er in seinen Kopf modellierte, konnte er die Bedeutung erkennen, sie waren unklar und verschwommen, als gehörten sie nicht zu ihm, als hätte er sie ungewollt, aus fremder Hand übernommen und sich zu eigen gemacht, dabei hatte er all sein Früher scheinbar vergessen.
Einen Fuß nach dem anderen zog er schlürfend über den trockenen, harten Boden unter seinen Solen. Eine Spur verfolgte ihn, verriet wo er herkam. Man sah sie dort, wo er im Graben gelegen hatte plötzlich abrechen, doch nach einer kurzen Pause führten sie unbeholfen und schwach weiter, bis sie direkt an seinen Schatten schlossen. Was lag hinter ihm, das er so fürchtete? Er konnte seiner Einsamkeit nicht entfliehen, hier spürte er sie sogar in jeder Faser seines Körpers.
Er dachte an das zurück, was er nun sein früheres Leben nannte. Was sind all die Kleinigkeiten die einen in dieser fernen, so weit entfernten Welt doch ausmachen, wenn man hier alleine, in der Wüste ist? All das Geld, alle Freunde, Familie und Geschichte spielen auf einmal keine Rolle mehr. Und sie? Sie war es die er mit seinen Blicken suchte, wenn er sich wieder einmal hektisch umdrehte, von dem Gefühl übermannt, die Antwort die er suche könne hinter ihm liegen. Doch dann wusste er es wieder, von hier aus gab es kein zurück mehr. Die öde Steppe die ihn umgab, war zuflucht, halt und der Ort an dem er nicht sein wollte. Wie als wäre ein unsichtbares Seil um in gelegt, das stürmisch und gefühllos an ihm zerrte, stolperte er Schritt für Schritt voran, schwankend und unsicher wie eine hinterher gezogene Dose.
Dave spürte nur noch den Talg in seinen Mund. Mit der Zunge durchforstete er alle Winkel seines Rachens, doch überall verspürte er nur dieselbe unwirkliche Lähmung. Alles war ihm egal und als hätte ihn dieser Gedanke erst jetzt erreicht schüttelte er seinen Kopf in einer Geste der Ablehnung, mit einem Lächeln, das so verzagt und höhnisch wirkte, wie das eines zum Tode verurteilten auf dem Weg zum Schafott.
Sein Zustand wurde unerträglich. Außer dem Weg gab es keinen Orientierungspunkt – verloren im Staub. Das wässrige Flimmern über dem heißen Sand breitet sich über die endlose Landschaft aus. Nicht einen einzigen Hügel konnte Dave erkennen. Die Verzerrung breitete sich über allem was er sah aus. Es hat etwas von einem stillen großen Teich, der durch unendlich viele Steine gebrochen wird und keine Ruhe mehr findet. Dave blieb stehen, schloss die Augen. Langsam fasste er in seine Tasche und holte eine zerknautschte Kippe hervor. Die Augen immer noch geschlossen zündete er sie sich mit einem Streichholz an. Doch die Hitze des kurz aufflammenden kleinen Stäbchens schien ihm das Gesicht völlig zu versenken. Tief atmete er den ersten Zug ein und ließ das Streichholz mit einer unbestimmten Wut einfach fallen. Er sah es nicht, doch er wusste, dass es noch immer brannte. Es würde immer schwächer werden und sich selbst verzehren. Aus irgendeinem Grund gefiel ihm dieser Gedanke, auch wenn er begann, das Streichholz zu beneiden.
Die Dunkelheit die er sah, den Qualm den trocken und eklig in sich spürte beruhigten ihn wieder. Doch dann begann sein Herz unregelmäßig und wild zu pochen, alles drehte sich, trotz der unerträglichen Hitze fühlte er den kalten Schweiß auf Stirn und Nacken.
Als er die Augen wieder öffnete, war es wie ein Sog, der ihn wieder in die Realität holte. Wenige Schritte vor sich, sah er plötzlich eine Pfütze, in der sich der letzte Ansatz von Wasser mit dem Staub vermischte – eine stinkende, abgestandene Pampe, fast nur noch Matsch. Doch als Dave sie sah rannte er wie besessen auf sie zu, er fragte sich nicht einmal mehr wie er sie hätte übersehen können. Direkt vor ihr ließ er sich auf die Knie fallen und stürzte, fast wie ein nasser Sack, mit dem gesamten Gesicht hinein, seine Nase berührte sogar schon den Grund. Gierig sog er die Brühe in seinen Schlund, indem er seine Lippen wie einen Schnabel formte. Die Zigarette hielt er noch in der rechten Hand. Nun verließ in das Bewusstsein. Eine merkwürdige Ahnung durchzog seine Hirnwindungen. Er verstand einfach nicht, er wusste nur, merkwürdige Dinge sind Geschähen.



2. Teil
Der Ort an dem er sich jetzt befand, war völlig anders. Links und rechts Bäume, die sich leblos und gekrümmt, unregelmäßig aneinander reihten, ohne das auch nur ein Ende abzusehen gewesen wäre. Der Weg wirkte auf Dave sehr vertraut. Er schien mit dem Weg auf dem er gerade noch gelegen hatte, und an den er sich nur noch dunkel erinnern konnte, verschmolzen zu sein. Derselbe Weg, doch alles war anders. Feuchtigkeit legte sich auf Haut und Kleidung. Von den letzten gelben Blättern der Bäume tropften große Perlen aus Wasser auf ihn hinab, die ihn, wenn sie empfindliche Stellen, wie Nase und Augenlieder, trafen, kurz zusammenzucken ließen. Er erahnte die Kälte und obwohl er offensichtlich zu dünne Kleidung trug spürte er sie in nicht. Er konnte seinen eigenen Atem vor Augen sehen. Langsam sog er durch Mund und Nase die kalte Luft ein. Sie brannte stark in der Lunge, ein leichter Hustenreiz kroch seine Kehle empor. Das alles, die Kälte, die Feuchtigkeit, die dicken Nebelschwaden die wie Geister die Bäume umtanzten, wirkten sehr erleichternd auf Dave. Nach all dieser stickig, drückenden Hitze, die seinen Verstand vernebelt hatte, erschien nun alles wieder völlig klar und in neuer Frische. Er fühlte sich wie der trockene Graben von damals, am Wegesrand, der auf einmal so unverhofft viel Wasser aufnehmen musste, was unmöglich war, doch tat es gut. Hier, in diesem Wald, erschien ihm all dies nicht mehr merkwürdig, es entstand sogar der Eindruck, dass es so natürlich und gewollt war. Doch auch eine gewisse Finsternis – ja eine Vorahnung schien aus den Wäldern zu ihm schreien zu wollen; ein leichter Wind, der den Nebel umher trug und die Blätter zu Fall brachte. Doch wie die Feuchtigkeit perlte es an ihm ab. Es war wie ein unsichtbarer Neoprehnanzug aus Stille und Gewissheit, fern jeglicher Angst. Es war die Einsamkeit und Unfähigkeit seine Gedanken zu ende zu führen.
So schritt er nun den Weg entlang, ohne zu denken, ohne zu fühlen; - Freiheit. Da sich alles so fügte lief er einfach weiter, einen Fuß vor den anderen setzend. Als er ein entferntes Geräusch vernahm blieb er stehen. Es war ein leises rieseln, doch es war plump und abgehackt, jedoch mit einer gewissen Regelmäßigkeit. Dies waren keine Regentropfen. Erde viel auf Erde. Es hatte eine magische Anziehungskraft auf Dave, da es die Ruhe störte die sonst in jedem einzelnen Winkel lag und sich unsichtbar verborgen hielt. Mit jedem Schritt wurden die Geräusche deutlicher. Jedes Mal wenn das Niederprasseln zu vernehmen war versetzte es ihm einen Schlag, der wie ein riesiger Hammer von innen an die Schädeldecke schlug. Nervosität und Unbehagen löste es in ihm aus. Er lief immer schneller und schneller bis er fast rannte. Daves Atemzüge wurden immer kürzer, der Kopf erhitzte sich, ein stechender Schmerz zog sich durch seine Brust, doch umso schlimmer und intensiver die Schmerzen wurden umso schneller musste er laufen, er konnte es kaum ertragen. Das Ziel war bald erreicht, er hörte es. Dann endlich sah er es. Ein kniehoher Erdhaufen, aus Schlamm, Steinen und Würmern. Dahinter eine Grube aus der ab und zu eine Spatenspitze hervorlugte. Völlig außer Atem musste er sich selber bremsen. Er kam erst wenige Zentimeter vor dem Erdloch zum stehen. Die körperliche Anstrengung, die innere Hitze und die äußere Kälte hatten ihn in einem Bruchteil von Sekunden dazu veranlasst zu glauben, er hätte diesen einen Schritt zu viel schon getan und sei schon in die Grube gestürzt. Als er stand und die Augen geschlossen hielt viel er schon in eine unendliche Tiefe. Erschrocken riss er die Augenlieder auf als er die kleinen Erdbrocken spürte, die in sein Gesicht geflogen waren. Einige hatten sogar den Weg in seinen geöffneten Mund gefunden. Sie schmeckten bitter und verursachten ein schreckliches Knirschen zwischen den Zähnen, das sich aber erst hinter den Ohren bemerkbar zu machen schien und von dort aus eine leichte Gänsehaut beschworen.
Als er sich, mehr oder weniger, wieder gefangen hatte und zu Atem kam blickte er in die Grube hinab. Er sah einen kleinen Alten Mann mit einem dreckigen aufgeknöpften weißen Hemd. Dave konnte den dürren abgemagerten Körper erkennen, die sich deutlich abzeichnenden Rippen und die noch wenigen, aber langen weißen Haare die seine Brust zierten. Der Alte hatte Dave wohl schon früher erkannt, als Dave ihn, denn er hatte den Spaten in den Boden unter seine Füßen gesteckt, hielt den rechten Fuß auf ihm und lehnte den Ellbogen oben auf, während er mit seinem fast zahnlosen Gebiss tückisch zu ihm empor schaute. Eine Weile starrten sie sich gegenseitig an. Doch dann sprach der Alte mit einer sehr hohen und heiseren Stimme, „Hilf mir hoch mein Junge, sei so lieb.“ Dave hatte Probleme ihn zu verstehen, seine Worte klangen nur wie ein leises Hauchen. Er schmiss den Spaten heraus und, ohne wirklich zu wissen wie, streckte Dave seine Hand hinab und half dem Alten hoch. Er war so leicht das Dave, sein Gewicht unterschätzend, ihn mit einem starken Ruck so schnell herauszog, das der Alte Probleme hatte nicht vorn überzukippen. Ungefähr einen Kopf kleiner war er als Dave, das Hemd hang ihm schräg und unordentlich am alten dürren Leib. Dave musterte ihn so ausgiebig das es unhöflich erscheinen musste, doch der Alte schien sich nicht daran zu stören. Die sehnigen Arme an denen nun dicke blaue Adern pulsierten verrieten Dave, dass der Alte ein zäher Kerl war. Nur Muskeln, kein Fett schien sich jemals an seinem Körper befunden zu haben. Einst war er wahrscheinlich groß von Gestalt und sehr muskulös, doch war ein anderes Leben. Mit gespannten aber trüben und grauen Augen guckte der Ale Dave mitten ins Gesicht. „Hasste mal ne Zippe fürn alten Mann?“, stieß er zwischen dem Zahnfleisch hervor. Dave schien zu erst nicht verstanden zu haben, vielleicht war er auch mit seinen Gedanken wo anders, denn auch er schaute dem Alten ins Gesicht, doch der Gesichtsausdruck verriet, dass sein Blick den Alten durchschnitt und etwas sehr weit entferntes betrachtete. Deshalb zupfte der Alte, um seiner Frage etwas Nachdruck zu verlein an Daves Ärmel. Er faste in seine Hosentasche und schnipste dann den Alten eine zerknautschte Zigarette entgegen, welche dieser dankend annahm. „Haste auch Feuer, Jungchen?“, fragte er. Dave holte auch seine Streichholzschachtel aus der anderen Hosentasche hervor, zündete eines an, baute mit der anderen Hand einen Windschatten und reichte ihm das Feuer. „Danke!“, sprach der Alte und ähnelte dabei einer zischenden Schlange.
Nach den ersten zwei tiefen Zügen setzte sich der Alte auf den mittlerweile schlammig gewordenen Erdhaufen neben der Grube. „Hatte nicht gedacht, dass ich da unten noch mal rauskomme. Aber sone Gelegenheit kann man sich ja nicht entgehen lassen. Hält mich jetzt zwar von der Arbeit auf aber ich hab ja Zeit.“
Dave schaute den wunderlichen kleinen Man noch immer ungläubig an. Auch er genehmigte sich jetzt eine seiner Zigaretten, dann fragte er „Was haben sie eigentlich vor? Ein so tiefes Loch mitten im Wald. Wofür machen sie sich die ganze Mühe, dann auch noch in ihrem Alter? Ich meine Menschen haben doch nichts unter der Erde zu suchen.“ „Hie, hie, hie Jungchen. Man hat ja nicht viele Möglichkeiten auf der Welt. Das meiste ergibt sich eh von selbst. Es fragt ein ja nie einer, nicht wahr. Aber wenigstens sein eigenes Grab wird sich ja wohl noch schaufeln dürfen. Als alter Mensch ist man ja so unnütze, da bleibt einem ja nur das Sterben. Im Grunde ist es ja der Beruf der Alten ununterbrochen an den Tod zu denken und weil ich nicht mehr warten wollte, dachte ich mir: Ja Alter, sagte ich zu mir, du gehst jetzt los und schaufelst dir dein eigenes Grab.“
Das war eine sehr merkwürdige Vorstellung für Dave. Ein eigenes Grab hatte so etwas Endgültiges. Nach dem weiten Weg den er jetzt schon hinter sich hatte passte etwas derartiges ja nicht. Obwohl – die Idee gefiel ihm doch sehr gut, als er weiter darüber nachdachte. Dann müsste man wenigstens nicht immer so ziellos herumstreifen. Jetzt auf einmal fühlte sich Dave sehr müde und bedrückt. Er spürte wie erschöpft sein Körper eigentlich war. Ein gemütlicher Ort an dem er sich hätte nieder legen und alle Glieder von sich strecken können erschien ihm in diesem Moment das einzig erstrebenswerte.
„Kannst dich ja mal reinlegen wenn du willst“, sprach der Alte und blinzelte dabei mit seinen schwammig grauen Augen.
„Warum nicht?“, dachte Dave bei sich und bestätigte diesen Entschluss, indem er dem Alten kurz zunickte. Zuerst überlegte er, wie er es am besten anstellen könne ohne dabei seine Kleidung zu ruinieren, doch diese Überlegung wirkte auf ihn selbst, so lächerlich, das er sich bald dafür schämte und in einem Satz hinab sprang. Seine Stirn reichte gerade bis ans oberen Ende. Hier unten war alles noch feuchter als an der Oberfläche, die er jetzt nicht mehr sah und an die er auch nicht mehr glaubte. Aus den Augen, aus dem Sinn, sah er nur noch die schwarze Erde die ihn umgab. Dave betrachte die einzelnen kleinen dünnen Wurzeln die ab und zu aus ihr herausragten. Insekten und Würmer, die ungefragt freigelegt waren, bohrten sich mit aller Kraft ihren Weg zurück in die Dunkelheit. In diesem Moment konnte Dave das Verlangen dieser niedern Tiere, sich in eine alles umhüllende Nacht zu verkriechen, gut verstehen. Gerne wäre er ihnen gefolgt; es reizte ihn sich seinen eigenen Weg zu bahnen mit der bloßen Kraft seiner Hände. Das wäre unmöglich gewesen und das wusste er. Langsam sank er auf den Boden und umso tiefer sein Kopf geriet und sich der modrige Geschmack in Nase und Mund verteilte, desto wohler wurde ihm ums Herz.
Da lag er, die Beine weit von sich gestreckt und die Hände über dem Bauch zusammengeschlagen. Dave hielt die Augen geschlossen, während sich eine Hitze in seinem Kopf ausbreitete, die langsam aber stetig immer weiter brodelte. Sein Herz schlug in immer geringer werdenden Abständen und die Atmung kam immer mehr zu Ruhe. Ein inneres Kribbeln durchfuhr Daves Körper und eine kindliche Erregtheit breitete sich in ihm aus. Hier war es so ruhig und still, wie nirgends zuvor. Doch da – dicke Erdklumpen vielen auf sein Gesicht. Der Moment war verloren, Dave fand wieder zu sich. Er bäumte sich auf und kletterte so schnell wie möglich aus der Grube. Alles an ihm war jetzt dreckig, von den Haarspitzen bis zu den Schuhsohlen. Mit aufgerissenen Augen guckte er den Alten an, der noch immer den Spaten in der Hand hielt und beschäftigt wirkte. „Oh, tut mir leid, aber ich konnte nicht anders. Hie, hie, hie. Die Gewohnheit.“, sprach er. Das war genug! In einem sachlichen Ton, der jedoch an Boshaftigkeit nicht zurück hielt sagte er nur „Ja – das macht nichts. Aber ich muss jetzt auch weiter“. Dave drehte sich um und ging. „Haste noch eine letzte für mich?“, hörte er den Alten hinter sich her rufen. Doch er schüttelte nur im weitergehen seinen Kopf und zündete sich selber eine an.

3. Teil, Das lang ersehnte, gefürchtete, unvermeidliche Ende
Genau an diesem Punkt war für Dave alles zu schwer, die Kleidung dreckig, die Glieder steif vor Kälte und alle Gedanken nur noch Fetzen. Er starrte nur vor seine Füße, die, rechts, links, unaufhaltsam voran strebten. Hier wollte er nicht mehr bleiben, aber auch nirgendwo anders wollte er jetzt sein. Scheu und mit Angst verzerrtem Gesicht pendelte sein Kopf von der einen Seite zur anderen, ohne dabei klar zu sehen. Doch auf dem Weg war er noch immer, so viel wusste er. Vor lauter Einsamkeit und Furcht begann Dave sogar mit sich selber zu sprechen. Er wollte nur noch weg – sehr weit weg, doch wusste er, dass sich hier im Wald keinerlei Möglichkeiten dazu ergeben würden. Also ging es immer weiter. Ein merkwürdiger Rauch erfüllte die Luft
„Wo willst du denn hin?“, hörte er auf einmal eine sehr schöne Frauenstimme neben sich fragen. Überrascht war Dave in diesem Moment, -ja- aber nicht erschrocken. Er blieb stehen und völlig ruhig, ohne jede Hektik, drehte er seinen Kopf nach rechts, so als wisse er was komme. Da saß sie nun, die Frau von dem ihm träumte, die er suchte und nach der er sich die ganze Zeit umgeschaut hatte, als der Weg noch staubig und trocken war. „Setzt dich“, sprach sie und deute dabei auf die Bank neben sich. Kurz zögerte Dave, doch dann folgte er ihr. „So lange bist nun schon unterwegs, und weißt doch nicht wohin. Es ist Okay, bleib hier bei mir, du musst nicht weiter. Lange genug hast du gekämpft, nun sollst du ruhen und glücklich sein, hier mit mir.“ Daves Blicke zehrten von der Frau, das weiße Kleid, die sanfte Haut, die vollen Lippen, das dunkle Haar. Alles was er wollt war nun hier, genau das wollte er hören, genau dies wollte er sehen – zu spät.
Dave schüttelte den Kopf, stand auf. Nun kannte er sein Ziel. Der Weg war nicht mehr weit.





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